Das neue Open Web

Artificial Intelligence wird oft als Bedrohung für das frei zugängliche Internet gesehen, kann jedoch auch eine Chance bieten.

Das neue Open Web

„The open web is dying.“ Diesen oder ähnliche Sätze haben vermutlich viele von euch schon mal gehört. Und obwohl ich bei voreiligen Abgesängen normalerweise skeptisch bin, könnte dieser sich leider schneller bewahrheiten, als es uns lieb ist.

Google hat auf seiner I/O-Entwicklerkonferenz diese Woche unmissverständlich klargemacht, dass sie nach den zaghaften Tests der letzten Jahre nun alles auf AI setzen werden. Die im letzten Jahr eingeführten AI Overviews erschienen bereits im Januar 2025 in 30% aller Suchanfragen. Googles AI Mode, der eine Chatbot-Erfahrung ähnlich wie ChatGPT oder Perplexity bietet, wurde erst im März dieses Jahres als Experiment gestartet und ist jetzt bereits ein Standard-Tab der Suche für alle US-Nutzer. Das alles wird den „Google Zero“-Trend noch weiter beschleunigen. So sehr wir alle die nervige Bannerwerbung auf Webseiten hassen, bleibt sie größtenteils die einzige Einnahmequelle für diese Publisher. Weder Affiliate-Links noch Subscriptions werden daran etwas ändern, egal wie sehr sich Sam Altman das wünscht.

Es wäre natürlich einfach, Google die Schuld an allem zu geben. Doch das ist meiner Ansicht nach zu kurz gedacht. Man könnte sogar argumentieren, dass nur Google das Open Web überhaupt noch am Leben erhält. Alles, während sie versuchen, ihr Suchgeschäft vor OpenAI zu schützen und eine Zerschlagung durch die US-Justiz zu verhindern. Ok, aber was ist die Lösung? Werden wir in ein paar Jahren nur noch Inhalte in den Walled Gardens von Gatekeepern wie Instagram, YouTube oder Substack konsumieren, während alle unabhängigen Webseiten (wie diese) aussterben?

Ben Thompson gab in seinem Update am Dienstag eine hoffnungsvolle Antwort auf diese Frage und pitchte direkt ein neues Geschäftsmodell für das Open Web:

⁠⁠What is possible — not probable, but at least possible — is to in the long run build an entirely new marketplace for content that results in a new win-win-win equilibrium.
First, the protocol layer should have a mechanism for payments via digital currency, i.e. stablecoins. Second, AI providers like ChatGPT should build an auction mechanism that pays out content sources based on the frequency with which they are cited in AI answers. The result would be a new universe of creators who will be incentivized to produce high quality content that is more likely to be useful to AI, competing in a marketplace a la the open web; indeed, this would be the new open web, but one that operates at even greater scale than the current web given the fact that human attention is a scarce resource, while the number of potential agents is infinite.

Thompson räumt ein, dass dieses neue „Universum“ einen enormen Kraftakt für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft darstellen würde. Viele der in den vergangenen Jahrzehnten etablierten Systeme und gelernten Verhaltensweisen müssten grundlegend verändert werden. Gleichzeitig bietet es aber auch eine Chance, uns wieder unabhängiger von besagten Gatekeepern zu machen – mit einem neuen Open Web.